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 "RENACTMENT "

 

Nachgestellte Schlachten

Wenn der Zweite Weltkrieg zum Schauspiel wird

 

"Erste Gruppe los." Ein gutes Dutzend Wehrmachtsoldaten, Grenadiere einer Panzerdivison, stürmen durchs Dickicht. "Deckung", brüllt Hauptfeldwebel Meyer. Alle werfen sich in den Dreck. Es knallt ringsherum. Sie sind unter Beschuss.

Minuten später steht das Trüppchen auf einem Feldweg. Der Feldwebel lässt antreten in zackigem Deutsch mit amerikanischem Akzent: "Gewehr umhängen" ordnet er an. "Vorwärts Marsch". Und dann marschieren sie in die Schlacht um die Brücke von Remagen. Deutsche Wehrmachtssoldaten mitten in Oregon an der Westküste der USA.

Wehrmachts-Darsteller Christopher Sharp [Bildunterschrift: Will einen "guten Gegner" geben: Christopher Sharp]

Christopher Sharp ist einer von ihnen. Er ist knappe 30, Amerikaner. Seine Großeltern - der Opa Schotte, die Oma Kandadierin - hatten beide im Zweiten Weltkrieg gegen Hitlerdeutschland gekämpft. Jetzt steckt der Enkel in einer Wehrmachtsuniform und spielt Krieg. Warum er als Amerikaner einen deutschen Soldaten spielen will?

Der junge Mann mit dem militärisch kurzen Haarschnitt muss nicht lange überlegen. "Als damals der Film ‚Der Soldat James Ryan' in die Kinos kam, da wollten alle Amerikaner plötzlich US-Fallschirmjäger spielen. Aber die amerikanischen Soldatendarsteller brauchen, wenn sie den Kampf nachstellen, schließlich einen guten Gegner, um überzeugend zu wirken."

Christopher Sharp wurde zu Christoph Scharf, dem Wehrmachtssoldaten aus Frankfurt. Im Zivilberuf Graphiker: "Meine Name ist Christoph Scharf" sagt er in holperigem Deutsch, das schwere Maschinengewehr MG 34 über der Schulter, die Patronengurte hängen links und rechts über der Brust.

Freizeit unter Stahlhelm

Christopher Sharp und Dutzende andere Amerikaner haben sich in Oregon zu einem Club zusammengeschlossen, sammeln für teures Geld deutsche Uniformen und deutsche Waffen, setzen sich am Wochenende den Stahlhelm auf und spielen Krieg. Unter sich und wie demnächst am 4. Juli wieder vor tausenden amerikanischen Zuschauern auf einem Truppenübungsplatz an der Küste Oregons.

US-Amerikaner spielen den Zweiten Weltkrieg nach [Bildunterschrift: Wochenendvergnügen: Die Teilnehmer der Schlacht in Oregon]

Die Reaktionen der Zuschauer auf Amerikaner in Wehrmachtsuniform? Gemischt: "Manche sagen, wenn sie uns als deutsche Soldaten sehen: ‚Ach das waren doch alles Nazis.’ Aber wir erklären dann, dass wir den durchschnittlichen deutschen Soldaten darstellen, und dann begreifen viele: Das waren ja auch Menschen wie wir", sagt Russell Trebby. Er steckt in der Uniform eines Unteroffiziers. Über seiner Schulter hängt eine deutsche Maschinenpistole. Mehrere tausend Dollar hat er dafür gezahlt, und jetzt legt er mit der Waffe auf amerikanische Soldatendarsteller an.

Schauspiel mit Platzpatronen

Es knallt ohrenbetäubend. Schüsse aus allen Richtungen. Übungsgranaten fliegen aus dem Gebüsch mit dem Warnruf "Granate", als der deutsche Stoßtrupp eine amerikanische Patrouille unter Feuer nimmt. Sie schießen mit Platzpatronen. Die Granaten: Attrappen aus Holz und Gummi. Der Krieg ist hier ein Schauspiel mit einem grausamen Hintergrund.

"Wer getroffen wird, nimmt den Helm ab, stirbt den dramatischen Hollywood-Filmtod und darf nach 15 Minuten wieder mitspielen", erklärt Don Harris, der sein Hobby Kriegsgeschichte am Wochenende in Wehrmachtsuniform auslebt.

Schlachten, noch einmal geschlagen

"Reenactment" nennen das die Amerikaner. Nachstellen von historischen Schlachten. Ein Hobby mit langer Tradition. Schon im 19. Jahrhundert hatten amerikanische Soldaten die 1876 geschlagene Schlacht am Little Big Horn in Montana nachgestellt. Die dramatische Niederlage von Lieutenant Colonel Custer und des 7. Kavallerie-Regiments gegen die Indianer. In Gettysburg im Staat Pennsylvania spielen sie bis heute auf den blutigen Schlachtfeldern Sommer für Sommer Szenen aus dem Bürgerkrieg nach. Kaum jemand findet es merkwürdig.

Dass aber US-Bürger in Wehrmachtsuniform gegen GI-Soldatendarsteller in den Krieg ziehen, das ist auch für Amerikaner gewöhnungsbedürftig. "Ja, meine Mutter hat gesagt, ‚mein Gott Junge, warum musst Du denn einen deutschen Sodlaten spielen’?", gesteht Russell Trebby. Aber er hat ihr erklärt, die waren auch nur Soldaten und das sei nun mal Teil der Geschichte, für die er sich interessiere. Sie hat es geschluckt.

Beitrag zum Geschichtsbewustsein?

Russell zieht im Zivilleben mit seinen Wehrmachtsutensilien zusammen mit einem GI-Soldatendarsteller durch die Schulen in seinem Landkeis. "Geschichtsunterricht hautnah", nennt er das. Dreidimensionales Lernen. "Wir setzen ihnen den schweren Rucksack auf, sie ziehen die Stiefel an. Erfahren von uns, was deutsche und amerikanische Soldaten gegessen haben, wie sie lebten, wie der Alltag aussah. Was Krieg bedeutete", so Trebby. "Die Kinder finden das spannend", sagt er. Das mache die Weltkriegs-Geschichte für sie viel realistischer.

Eine Viertelstunde später ist Russell Trebby mal wieder tot. Zum dritten mal haben ihn amerikanische Ranger heute erschossen. Außer Atem vom vielen Rennen liegt er auf dem Boden und erklärt, warum er, der Amerikaner, in deutscher Uniform den Weltkrieg nachspielt. "Wenn man Geschichte nicht erinnert, dann ist man dazu verurteilt, die selben Fehler noch mal zu begehen", so seine Theorie. "Deswegen halten wir die Erinnerung lebendig."

Er aber ist erst einmal tot. Eine Viertelstunde aussetzen, dann meint er: "Es wird Zeit wieder in den Krieg zu ziehen."

US-Amerikaner stellen Schlachten nach

 

Gestern Nadschaf, heute Remagen

Der Kampf um die Brücke von Remagen ist noch nicht zu Ende. Im US-Bundesstaat Oregon wird er immer noch ausgetragen. Dort schlüpfen US-Amerikaner am Wochenende in Wehrmachtuniformen und spielen Zweiter Weltkrieg. Lesen Sie hier Teil Zwei unserer Reportage "Wenn der Zweite Weltkrieg zum Schauspiel wird".

Von Georg Schwarte, NDR-Hörfunkstudio Washington

Neben ihm liegt "Norbert", der im eigentlichen Leben einen amerikanischen Namen hat und als Stuntman arbeitet. "Norbert" drückt seinen Kopf unter den 300 Dollar teuren Originalwehrmachtstahlhelm auf den Boden und lädt nach. Zehn Schuss in seinen Karabiner. Und sie schießen eine Menge an einem solchen Wochenende. 35 Cent pro Patrone. Manche verballern fast 400 Euro. Eine Hülse klemmt, fällt Norbert aus der Hand, den Hügel herunter. "Scheiße", murmelt er leise. Selbst geflucht wird bei den Wehrmachtssoldatendarstellern ganz realistisch auf deutsch.

Manche von ihnen haben deutsche Vorfahren. Fließend deutsch aber sprechen die wenigsten. "Wenn ich Deckung brülle", sagt der amerikanische Darsteller eines deutschen Wehrmachtsoffiziers, "dann gucken mich die meisten einfach nur an und bleiben stehen. Das ist schon witzig."

Veteranen für besseres Deutsch

Als sie vor einem Jahr D-Day nachgespielt haben vor großem Publikum, da waren auch deutsche Weltkriegsveteranen unter den Zuschauern. Die kamen dann später zu den amerikanischen Wehrmachtssoldaten. "Ihr habt gut gespielt", hätten sie gesagt. "Aber Euer Deutsch, das ist schrecklich."

"Wir sind dabei zu lernen", verteidigt sich Don Harris. Er wie alle anderen interessieren sich für Militärgeschichte. Die meisten haben obendrein ein Faible für Waffen, und Don räumt ein, so ein bisschen Räuber- und Gendarm-Atmosphäre ist auch dabei. "Naja, große Jungs und ihre Spielzeuge eben", meint er. Frauen würden wahrscheinlich sagen: So einen Blödsinn machen nur Männer. "Aber wir sind stolz drauf."

Nicht jeder darf dabeisein

Die Mitglieder im Reenactment-Club: Richter, Anwälte, Polizisten. "Wir haben Leute aus allen Schichten" sagt Lyell Cox, der in der Uniform eines Corporals der First ID, der ersten Infanteriedivison 216 der Amerikanischen Steitkräfte steckt. "Wir gucken uns unsere Mitglieder genau an und sind keine Horde von Rednecks, die schießend durch die Wälder zieht", sagt er, während in der Baracke der amerikanischen GI-Darsteller aus dem Nachbau eines 40er Jahre Radios Benny Goodmans "Jersey Bounce" durch den Raum hallt und Lucky-Strike-Zigaretten die Runde machen.

US-Amerikaner spielen den Zweiten Weltkrieg nach [Bildunterschrift: Rauchpause vor dem nächsten Angriff: Die Mitglieder der "Reenactment-Club"]

Die einen spielen amerikanische GIs,die anderen eben Wehrmachtssolaten. Willi ist Familientherapeut, Psychologe an einem Jugendgericht. Jetzt schleppt er in Wehrmachtsuniform und langem Armeemantel unter dem Namen Willi Aust eine Panzerfaustattrappe durchs Gebüsch. "Ich hab einen ziemlich stressigen Job, und nach einem Tag, an dem ich hier mit anderen geschichtsinteressierten Freunden durch die Gegend gerannt bin, ist der Stress weg und ich schlafe wunderbar."

Jim hat bei Volkswagen einst Autos zusammengeschraubt. Er ist mit seinem Kübelwagen, Baujahr 1942, lackiert in den Tarnfarben der deutschen Wehrmacht, aus dem Nachbarstaat Washington zur Schlacht von Remagen nach Oregon gefahren. Der VW-Motor tuckert leise vor sich hin. 25 PS, 1,1 Litermotor, 80 Stundenkilometer, wenn der Motor warm ist. Fast 30.000 Dollar hat Jim für den aus Österreich importierten Wagen bezahlt. "Es kann halt nicht jeder Briefmarken sammeln oder Baseball gucken", erklärt er sein Hobby als Wehrmachtssoldat.

Vorwärts in die Vergangenheit

Die letzte Offensive des Tages wird geschlagen. Die Deutschen brechen aus ihrer Stellung aus, brüllend und schießend. Mit dabei auch Mike. Vor zwei Wochen hat er noch woanders gekämpft. Im Irak. Er war in Bagdad, in Falludscha, in Nadschaf. Über ein Jahr lang als Soldat der Nationalgarde aus Washington State. Quasi über Nacht hatten sie ihn damals einberufen. Raus aus dem Zivilleben, rein in den Irak. Jetzt steckt er in Wehrmachtsuniform.

Das sei seine Art, wieder langsam ins Zivilleben zurückzufinden, sagt er. "Kampf, eine Schlacht, das ist Aufregung pur. Das ist ein Adrenalinstoß nach dem anderen. Hier beim Reenactment spürst du davon noch ein bisschen", erklärt er. "Das erleichtert mir den Übergang zurück ins normale Leben."

Das gute Gefühl, nach Hause zu gehen

Christopher Sharp, der Mann mit dem Maschinengewehr, sieht die Dinge etwas anders. Reenactment, das sei Geschichte, heruntergebrochen auf eine kleines Mosaiksteinchen. Auf den winzigen Teil eines großen Gesamtbildes. "Wir gucken quasi mit der Lupe auf Geschichte und haben trotzdem das Glück, abends wieder in unser Zivilleben zurück zu können. Soldaten damals konnten das nicht. Die konnten nicht sagen: ‚So fertig. Schlacht zuende. Jetzt trinken wir ein Bier und gehen nach Hause.’ So war das eben nicht."

60 Jahre nach Kriegsende ist auch in Oregon die Schlacht um die Brücke von Remagen geschlagen. Für heute. "Stillgestanden. Wegtreten", brüllt der Hauptfeldwebel seine "deutschen" Soldaten an. Morgen geht es weiter mit dem Krieg. Das Wochenende ist noch nicht zuende.